Die Überschrift übertreibt natürlich etwas. Als kleine Großstadt mit gut 170.000 Einwohnern ist Ludwigshafen durch das wohl weiterhin größte Chemiewerk der Welt, das zugleich einen der ältesten Industriekonzerne des DAX bildet, sowie die allerdienstälteste immer noch aktive Fernsehkommissarin in der deutschen Gegenwart und im überregionalen Bewusstsein ganz gut verankert.
Was in Gefahr gerät: seine bemerkenswerte Qualität als Freilichtmuseum für so gut wie sämtliche Baustile der überwiegend ehemaligen Modernen. Die schwungvoll raumgreifenden Hochbrücken über den Rhein etwa wurden noch im vorigen Jahrzehnt als “Los Angeles in der Pfalz” beworben. Im Dunkeln beleuchtet von oben fotografiert machen sie visuell tatsächlich allerhand her (zumindest mehr, als wenn man bei graublauem Himmel selbst unter den gewaltigen Auffahrten entlanggeht). Und wenn solch Kalifornien-haftigkeit nicht zum deutschen Lebensgefühl gehört, was denn dann?
Dass nun gleich beide Rheinbrücken abgerissen werden müssen – weniger, weil sie schlecht gebaut wurden, als weil in den 1950er und -70er Jahren das Ausmaß von immer noch mehr, noch schwererem Autoverkehr nicht vorhergesehen worden war – hat sich überregional herumgesprochen. Was sich zuletzt noch änderte, waren vor allem Einschätzungen, welche von beiden Brücken vorm eigenen Abriss besser “ertüchtigt” werden kann, um den (in der Summe natürlich zunächst heftig steigenden) Verkehr von der Brücke, die stattdessen zuerst abgerissen wird, solange aufzunehmen, bis diese ersetzt worden ist.
Was damit zusammenhängt, und zwar im wörtlichen Sinne, ist das “Rathaus-Center” , das hier das Foto ganz oben zeigt. Auch es wird abgerissen werden müssen, weil es mit der nördlichen Hochbrücke konstruktiv verbunden ist. Als (Nicht-nur-)Freilichtmuseum für Einkaufs-Paradiese/ Shoppinghöllen/-zentren der Nachkriegs-Konsumgesellschaft wird sich Ludwigshafen also nicht mehr lange eignen. Und auch in dieser Hinsicht lohnt es ein Besuch (Falls Sie das “Rathaus-Center” nicht auf Anhieb ins Herz schließen: Suchen Sie mal das “Walzmühle-Center” auf! Im Vergleich geht’s … womit noch gar nicht alle innenstädtischen Einkaufszentren genannt sind).
Ein bisschen kann einem die für deutsche Verhältnisse sehr junge, erst 1843 bis 1853 gegründete Stadt leid tun, zumal sie (durch ein “gewaltiges strukturelles Defizit im Bereich der sozialen Sicherung”) milliardenschwer verschuldet ist. Womöglich verkomplizierten außerdem alte Nickeligkeiten zwischen der Stadt und ihrem über viele Jahrzehnte hinweg bekanntesten Bürger die Gemengelage. Viele nicht ganz junge Menschen, die die Kohl-Ära noch miterlebten, verbinden den 2017 verstorbenen Altkanzler ja noch viel eher als BASF oder “Tatort” mit Ludwigshafen. Dass die über die Brücken führenden Straßen vor allem in die Verantwortung der Stadt fallen, obwohl sie Landes- und Bundes-Bedeutung besitzen (schon weil auf ihnen Steuerzahler und Kaufkraft ins Umland beziehungsweise ins baden-württembergische Mannheim pendeln), hinge mit so etwas zusammen, wurde mir gesagt …
Helmut Kohl lebte im westlichen Stadtteil Oggersheim, der mehr als tausend Jahre älter als Ludwigshafen selbst ist und eher dörflich geprägt (obwohl er vor fast 700 Jahre Stadtrechte erhielt). Von einem verschwundenen Bauwerk ist allerdings Oggersheim bereits geprägt. Das dortige Schloss stand nur gut 75 Jahre. Seine einzige Residentin, die mit ihrem Gatten zerstrittene Kurpfälzer Kurfürstin Elisabeth Auguste, musste 1793 kurz vor ihrem Tod noch über den Rhein fliehen. Die kleine Stadtmauer, von der immerhin sich einige Reste erhalten haben, erfüllte sichtlich schon zu ihrer Zeit eher Zier-Funktionen. Die französischen Revolutionsarmeen, die Ende des 18. Jahrhunderts die meisten linksrheinischen Schlösser zerstörten, hielt sie nicht auf.
Vom Schloss geblieben sind nur einige als solche kaum erkennbare Randbauten – und die Schlosskirche, die die Häuschen von Oggersheim hoch überragt. Wo man sich gut über all das informieren kann: im Schillerhaus. Das ist der ehemaligen Gasthof mit dem schon damals nicht so einladenden Namen “Viehhof”, in dem der just aus Württemberg entflohene junge Dichter wohnte, während er mit dem Theater in Mannheim auf der anderen Rheinseite (nach dem ersten Erfolg “Die Räuber” zunehmend erfolglos …) über seine Stücke verhandelte. Mittwochs und freitags öffnet dort – obwohl Kultur im verschuldeten Ludwigshaften nur als “freiwillige Leistung” erbracht werden kann – ein rühriges kleines Museum, das sowohl übers ehemalige Schloss informiert als auch über die ebenfalls eher ehemalige oder zumindest verblassende Bedeutung des Dichters. Im authentischen Friedrich-Schiller-Ort Oggersheim immerhin zeugen davon sehr viele schiller-nde Straßennamen … und in der nach des Dichters Geburtsort benannten Straße befindet sich dann der Bungalow, in dem Helmut Kohl lebte und Staatsgäste aus aller Welt empfing, sofern er mit ihnen nicht lieber nach Speyer fuhr. Ludwigshafen selbst mied er jedenfalls.
Größer und ähnlich informativ (sowie öfter geöffnet) ist das zentrale Ludwigshafener Stadtmuseum, das sich im oben erwähnten und gezeigten “Rathaus-Center” befindet. Es zeigt zum Beispiel, wie die im Königreich Bayern (dem die linksrheinische Pfalz aus historischen Gründen gehörte) gegründete Stadt zu einer regelrechten Boomtown aufstieg – weil eben Platz war, sowohl zum Fabrikenbau (weswegen das gewaltige BASF-Gelände recht nahtlos in die Innenstadt übergeht …) als auch für Verkehswege. Einerseits am Rhein gelegen, andererseits an die gerade eingeführte, sich in Deutschland rasant ausbreitende Eisenbahn früh angebunden, besaß Ludwigshafen perfekte Standortqualitäten, die die bayerischen Könige auch gezielt förderten. Der erste Hauptbahnhof befand sich gleich neben dem (ebenfalls längst verschwundenen) ersten Hafenbecken am Rhein – wo derzeit noch das jetzt schon wieder erwähnte “Rathaus-Center” steht. Gegründet wurde die Hafenstadt übrigens nicht von Ludwig II., dem Märchenkönig, dessen Bauwerke Bayern auch noch im übernächsten Jahrhundert viel Geld einspielen (auch wenn ein im Stadtmuseum ausgesteller Jubiläumsfeier-Teller von 1988 das irgendwie suggerieren wollte), sondern von Ludwig I. von Bayern.
Zum Glück funktionieren die alten Standortbedingungen noch immer halbwegs. Zumindest legen nach Firmenangaben “jährlich … rund 2.500 Tankschiffe” am Ludwigs-Hafen der BASF an. Außerdem würden “mehr und mehr Güter auf die Schiene verlagert” (obwohl die Deutsche Bahn, die ja ebenfalls jede Menge Probleme hat, den Güterverkehr ganz besonders nachrangig behandelt). Schwer auszudenken, wenn diese Fracht auch noch in Lkws über die Rheinbrücken kutschiert werden müsste. Übrigens liegt der Ort, von dem die unfassbare Entwicklung des motorisierten Individualverkehrs ausgegangen war, ja direkt auf der anderen Rheinseite. Die weltweit zweite Autofabrik gleich nach dre ersten in Mannheim habe übrigens in Ludwigshafen produziert, zeigt das dortige Stadtmuseum. Zwar produzierten sie nur von 1898 bis 1902 . Doch die Durchsetzung des Automobile hat das Ende der Lux-Werke kaum aufgehalten.
Die komplexe Gemengelage um verhältnismäßig junge, schnell gewachsene Städten, von denen es in Deutschland ja nicht sehr viele gibt, zeigt sich in Ludwigshafen also an allen Ecken und Enden (und in Museen ebenso wie im Stadtbild) mit all ihren Vor- und Nachteilen. Das sind gute Gründe, es bald mal zu besuchen. Am besten sollte man es allerdings per Bahn tun.