Beinahe wie eine kleine Terrakottakrieger-Armee stehen über 50 preußische Könige, Kurfürsten, Markgrafen undsoweiter als Marmorstatuen in ausgesprochen unterschiedlichem Erhaltungszustand derzeit im Innenhof der Zitadelle in Berlin-Spandau.
Sie kamen von der Siegesallee im Berliner Tiergarten, wo sie in preußenfreundlicheren Zeiten, nämlich am Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts im Auftrag Kaiser Wilhelms II. und zum Zwecke der patriotischen Begeisterung aufgestellt worden waren. Der künstlerische Leiter dieser Aktivität hieß Reinhold Begas. Ihm galt in diesem Jahr eine ganz interessante Ausstellung des Historischen Museums. Zu seinen Lebzeiten, die 1911 endeten, sei er Deutschlands berühmtester Künstler gewesen, hieß es dort. Später wurde er weitestgehend vergessen. Was ihn inzwischen sozusagen wieder interessant macht, ist das kuriose Schicksal seiner Werke in den folgenden Epochen. Sie wurden im Krieg oder aus symbolischen Gründen zerstört, teils stehen sie kontextlos weiter in Berlin herum (wie etwa der Neptunbrunnen hinterm Fernsehturm). Viele der Siegesallee-Statuen wurden anno 1954 gar im eigentlich keinesfalls besonders kaiserfeindlich gesinnten Westen der Stadt vergraben (beim Schloss Bellevue, also dem heutigen Amtssitz des Bundespräsidenten, der als Staatsoberhaupt ja quasi Nachfolger zumindest der letzten preußischen Könige ist).
1978 wurden sie wieder ausgegraben, in Kreuzberg ausgestellt und vor wenigen Jahren dann nach Spandau kutschiert. Dort hätten sie auch schon im ehemaligen Proviantmagazin der Zitadelle gestanden, in dem sie nach heutigem Stand ab 2013 im Rahmen einer neuen Ausstellung namens “Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler” präsentiert werden sollen. Dann jedoch zeigte sich, dass für den Boden des im 19. Jahrhundert errichteten Gebäudes die ähnlich alten Marmorstatuen zu schwer seien, erzählen freundliche Museumswärter. Also wurden die Preußen erst mal wieder ins Freie geschafft, damit das Proviantmagazin für seine schwere neue Aufgabe fit gemacht werden kann. Für Statuen, die zwischenzeitlich schon begraben waren, ist das ja okay. Etwas Witterungs-Patina dürfte sie eher schöner machen.
Spandau selbst legt ansonsten Wert darauf, das älteste Bauwerk (den Juliusturm der Zitadellle) sowie das älteste Wohnhaus Berlins (das “Gotische Haus” in Spandaus heutiger Fußgängerzone) zu beherbergen. Es ist auch insgesamt älter als Berlin, in das es erst 1920 eingemeindet wurde. Was sich rund um die Zitadelle noch gut ahnen lässt: Spandau war, der bereits im Dreißigjährigen Krieg benutzten Zitadelle wegen, bis in die preußentrunkene späte Kaiserzeit hinein Preußens Festungsstadt schlechthin sowie der Top-Standort seiner Rüstungsindustrie. Erst als weitere Fortschritte in der Waffen- bzw. Zerstörungstechnik solche befestigten Städte obsolet machten, wurde es 1903 entfestigt und durfte sich ausbreiten. In der sog. Kanonenausstellung in der ehemaligen Exerzierhalle der Zitadelle erfährt man, wenn man nicht allein die vielen Kanonen betrachtet, einiges über die gewaltige ehemalige Rüstungsindustrie am Ort.
Obwohl man “ansonsten in Spandau gern mit der ‘Historie’ wuchert”, beklagte Helmut Höge im Sommer in der “taz”, erfährt man jedoch eher wenig darüber, dass dieselbe Zitadelle später auch die Giftgasforschung der Nazis beherbergte. Auch daher wurde sie im Zweiten Weltkrieg wieder als Festung verwendet. Wie die Rote Armee diese schließlich einnahm, schildert der DEFA-Film “Ich war neunzehn” (zerteilt auf Youtube zu haben).
Nördlich der Zitadelle liegt in der Havel die kleine Insel Eiswerder, auf der ab 1829 aus Sicherheitsgründen das hergestellt wurde, was Preußens “Geheimes Brandraketen-Laboratorium” in der Zitadelle ertüftelt hatte. In der Nazizeit wurde dort und am gegenüberliegenden Havelstrand ebenfalls Giftgas hergestellt. Um wieder zurück zur Filmgeschichte zu kommen: Auf dem Gelände einer solchen ehemaligen Giftgasfabrik gründete sehr bald nach dem Krieg der Holocaust-Überlebende Artur Brauner seine CCC-Filmstudios.
Faltblätter über die Industriegeschichte (hier und hier als PDF) zeichnen das schön nach (und beweisen, dass sich eigentlich auch mit solchen Aspekten der Historie gut wuchern lässt). Ihnen zufolge stehen Ruinen dieser Fabriken, z.B. der Giftgasfabrik “Lonal”, noch immer dort zwischen den Filmstudios, in denen auch immer noch gelegentlich gedreht wird. Was z.B. dort entstanden ist, der CCC-Webseite zufolge: die Serien “KDD” und “Ijon Tichy: Raumpilot” – also die beinahe einzigen nicht-doofen ZDF-Serien des laufenden Jahrtausends.
Die Brücken, die von Eiswerder zum Festland führen, sind die, auf oder unter denen in vielen Edgar-Wallace-Filmen und Pseudo-Edgar-Wallace-Filmen der 1960er Jahre immer die verkleideten Mörder lauern oder zumindest die Leichen gefunden werden.
vom Juliusturm hat man eine schöne Aussicht…