In Darmstadt (Hessen) war ich nur sehr sehr kurz auf einer bzw. zwei Durchreisen. Doch auch beim Schnelldurchlauf durch die Stadt springt sofort ein roter Faden ins Auge: die ungeheure Anzahl dort aufgestellter Denkmäler aller Art.
“Der lange Ludwig”, wie die Darmstädter darmstadt.de zufolge sagen, zählt zumindest dann zu den groteskesten Citydenkmälern Deutschlands, wenn er nicht, eher selten, aber zu einem guten Zweck als Aussichtsplattform geöffnet hat: Mitten auf dem zentralen Luisenplatz, umtost von Straßenbahnen, Bussen, Radfahrern und Verbrauchern auf dem Weg in die Fußgängerzone, steht eine Riesensäule, auf der weit oben die Statue eines lokalen Fürsten posiert. Vom Fuß der 30-Meter-Säule aus betrachtet, wirkt der Fürst oben eher lediglich lebensgroß, er soll aber doch fast fünfeinhalb Meter hoch sein.
Es handelt sich um Ludwig I., der seine Fürstenlaufbahn eigentlich als Ludwig X. begann. Weil in seine Regierungszeit (die Zeit Napoleons, in der das alte “Heilige Römische Reich deutscher Nation” endete und eine Menge deutscher Fürsten sich über klangvollere Titel freuen konnte) die Rangerhöhung der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt zum Großherzogtum fiel, begann die Ludwigszählung dann wieder von vorn. Wie in der auch schon wieder wechselvollen Planungsphase des Monuments, das zunächst der vom Fürsten erlassenen Verfassung gewidmet sein sollte, die Statue erst spät draufgesetzt wurde, beschreibt die Wikipedia.
Dass die Darmstädter der Gegenwart mit ihren vielen Denkmälern kritisch umgehen, zeigt sich am Reiterstandbild eines anderen Ludwigs (des IV. nach der zweiten Ludwigszählung, Namensvielfalt schrieb man im feudalistischen Darmstadt nicht gerade groß) neben dem Schloss. Oder zeigte sich zumindest während meines Aufenthalts dort im letzten Herbst.
Im Park des Schlosses wird dann an ein im Volk beliebtes “Prinzesschen” erinnert. Betritt man den Innenhof des Schlosses von hinten, stößt man auf Ehrentafeln für die Gefallenen vieler Kriege – darunter zumindest eines völlig vergessenen aus dem letzten Jahrhundert. Im Schlosshof werden Gefallene des deutschen Chinafeldzugs nach dem Boxeraufstand von 1900 namentlich genannt.
Heute hierzulande ist jene Unternehmung allenfalls noch dadurch in Erinnerung, dass Kaiser Wilhelm (der II.), bevor seine Soldaten in See stachen, in Bremerhaven seine berüchtigte “Hunnenrede” (“… Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen…”) hielt, derentwegen Deutsche in Kriegsfilmen ihrer späteren Weltkriegsgegner immer gern “Huns” genannt wurden. Dabei waren die späteren Gegner 1900 in China noch Verbündete und die deutschen Soldaten erst eingetroffen, als in puncto Kolonalismus seinerzeit keineswegs zurückhaltendere, aber in puncto Außendarstellung geschicktere andere Mächte den Aufstand längst niedergeschlagen hatten. Dennoch führten die Deutschen “Strafexpeditionen” an (mehr dazu z.B. gegen Ende dieses “Zeit”-Artikels von 1997), und vielleicht dabei, jedenfalls damals sind ein paar Deutsche aus Darmstadt in China so oder so, “mit Gott für Kaiser und Reich” gestorben. An sie also wird im Hof des Schlosses namentlich erinnert.
Der Hof selbst wiederum wird heute vor allem als Parkplatz genutzt, und zwar für die Universität, als die das Darmstädter Schloss heute teil- und sinnvollerweise verwendet wird. Durch die lebhafte Nutzung wirkt es nicht so steril wie vergleichbare Protzprunkbauten in anderen Ex-Residenzstädten.
Überhaupt wirkt Darmstadt nicht so “hochsterilisiert”, wie ein aktuell bekannter gebürtiger Darmstädter, der Fußballlehrer Brüno Labbadia einmal in völlig anderem Zusammenhang sagte… Wie sich das hoch oben auf dem langen Lui – wie gebürtige Darmstädter die Ludwigssäule auch nennen (und sicher mit Recht darauf hinweisen, dass sich über Darmstadt noch viel viel mehr sagen ließe) -, kann man außerhalb der Öffnungszeiten von unten natürlich schwer einschätzen. Aber die Tauben, die dieses Denkmal ebenfalls schätzen, deuten darauf, dass es oben auch nicht ungeheuer steril zugeht.
Zwei Pünktchen zuviel auf dem Vornamen des Fußballlehrers!