Für Menschen, die die Stadt überhaupt nicht kennen, mag Stendal in den orts- und zeitenthobenen Assoziations-Sphären der Medien-Globalisierung zunächst einen französischen Anklang haben. Es liegt aber in Sachsen-Anhalt.
Doch der Schriftsteller Henri Beyle gab sich tatsächlich der deutschen Stadt wegen von 1817 an den immer noch bekannten Namen Stendhal bzw. de Stendhal. Er hatte vorher, in der Napoleonszeit, für den so faszinierenden wie kurzlebigen Kunststaat namens Westphalen gearbeitet, zu dem zwar das heutige Westfalen so gut wie gar nicht gehört hatte, aber unter anderem auch Stendal. Vor allem gilt Stendhals Namenswahl als Hommage an den wohl noch immer bekanntesten gebürtigen Stendaler, Johann Joachim Winckelmann.
Jenem Winckelmann gewidmet sind unter anderem ein blumengeschmücktes Denkmal auf einem zentralen Platz der Stadt und ein Museum voller Winckelmañana, pardon: Winckelmanniana.
Zweifellos zurecht, schließlich kann man Winckelmann als Begründer der Kunstarchäologie wie auch des neuzeitlichen deutschen Italienfaibles betrachten. Das Museum erzählt eine erbauliche Bildungs- und Aufstiegsstory aus dem pietistischen Preußen nach (denn Stendal liegt in der Altmark, die Altmärker gern “Wiege Brandenburgs” oder Preußens, wie Brandenburg zwischenzeitlich hieß, nennen; zu Sachsen-Anhalt gehört es erst seit der Auflösung Preußens bzw. der frühen DDR).
Johann Joachim Winckelmann wurde also 1717 als Sohn eines Schuhmachers in der damals bereits verarmten Stadt geboren. Es mussten eine Menge untertänige Bittbriefe um Stipendien für die Bildung geschrieben werden, von der Winckelmann dann aber auch eine Menge erhielt. Er lernte und lehrte, studierte und katalogisierte eine Bibliothek, gelangte so aus dem zumal damals wenig kunstaffinen Preußen ins kunstaffinere Sachsen und ging nach Italien, um dort schließlich päpstlicher Oberaufseher für die Altertümer zu werden, mit deren Ausgrabung im 18. Jahrhundert so richtig begonnen wurde. Klar, dass auch ein Konfessionswechsel vom preußischen Protestantismus zum Katholizismus zu dieser Aufstiegsstory gehört.
Klar auch, dass Winckelmanniana alleine als Museumsstoff für die eventorientierte Gegenwart ein wenig spröde wirken müssen, selbst wenn viele Statuen ausgestellt sind. Dazu zählt selbstredend die u.a. aus jedem Lateinbuch bekannte Laokoons-Gruppe. Die Beschreibung ihrer “edlen Einfalt, stillen Größe” während des Erwürgtwerdens durch zwei Schlangen dürfte das geflügelteste Wort Winckelmanns sein, wobei heute hinzugefügt werden muss, dass “Einfalt” seinerzeit, zumal im Gegensatz zum damals herrschenden Rokoko-/Barock-Geschmack, ein rundum positiv besetzter Begriff war.
Um auch für Familien der Gegenwart attraktiv zu werden, hat das Museum im Garten ein Kindermuseum eingerichtet. Darin steht u.a., wegen Winckelmanns Homer-Faszination, der gewaltige Nachbau eines Trojanischen Pferdes (Foto oben).
Hinter dem Pferd und den umliegenden Häusern ragen Kirchtürme in enorme Höhen empor. Das ist aus fast jedem Blickwinkel ein zentrales Merkmal Stendals: Gewaltige Kirchen im Stil der roten Backsteingotik zeugen von der großen Zeit der Stadt. Und auch davon, dass diese schon länger vorüber ist. Diese große Zeit lag im Hochmittelalter, als die Dynastie der Askanier Brandenburg regierte und im Zuge diverser Landesteilungen Stendal zeitweise Haupt- und jedenfalls eine reiche Hansestadt war. Sie endete, erfährt man im Altmärkischen Museum, anno 1488 mit einer blutigen Niederlage in einem Biersteuerstreit gegen den Kurfürsten Joachim I.. Dieser war einer der ersten Hohenzollernfürsten, die selber in Brandenburg residierten. Sein Nachfolger machte Berlin zur Hauptstadt, was periphereren Städten auch nicht gut tat. 1518 musste Stendal dann aus der Hanse austreten. Ob es irgendjemandem hilft, dass es sich seit kurzem, noch nicht ganz zum 500. Jahrestag des Austritts, wieder Hansestadt nennt – einstweilen unklar.
Außer Winckelmann strebten jedenfalls auch andere Stendaler in (südliche) Fernen. Zum Beispiel Gustav Nachtigal, dem ein halbes Zimmer im Altmärkischen Museum gilt. Der dürfe
“nicht nur als der wissenschaftlichste Afrikaforscher überhaupt, sondern auch eine der wenigen Persönlichkeiten der Forschungsgeschichte gelten …, die den Afrikanern nicht als überhebliche, mit Rassenvorurteilen beladene Durchreisende oder als brutale Eroberer gegenübertraten”,
heißt es in der Wikipedia der Gegenwart. Er bereiste im 19. Jahrhundert unter anderem die Region Darfur, die erst seit wenigen Jahren wieder im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Seine Reisebriefe liegen in rund 80.000 Zeichen digital vor.
Dass Söhne und Töchter der Stadt und des Umlandes in die Ferne streben, ist auch ein Problem der Gegenwart, sagen Stendaler offen. Als Besucher kann man das jeweils nachvollziehen. Einen Besuch aber ist die von Berlin eigentlich gut erreichbare Stadt schon wert.
Moin. Kommt hier noch mal was oder ruht die Website eher? Was ja schade wäre.
Moin, und danke. Jetzt ist wieder was da, und es wird (in etwas unregelmäßigerer Frequenz) auch weitergehn.