Der Stadtplatz von Neustadt an der Waldnaab in der Oberpfalz ist zwar auch ein typisch bayerischer, langgezogener Marktplatz mit bunten Häusern, deren Renaissancegiebel vor blauem Himmel besonders hübsch aussehen, aber nicht nur das. Zugleich ist er die Bundesstraße 15, die von der Autobahnabfahrt im nahen Altenstadt an der Waldnaab bis nach Tirschenreuth und dann nach Tschechien führt. Ihn zu überqueren, ist tagsüber nicht immer leicht.
Autos spielen in Neustadt an der Waldnaab vielleicht auch deshalb eine große Rolle, weil es das als kleinste Kreisstadt Bayerns das attraktive Kfz-Kennzeichen NEW besitzt. Seine Rolle als Verwaltungssitz hat eine lange Tradition: Bis Bayern 1806 in ungefähr der heutigen Form entstand, war Neustadt Hauptstadt einer Grafschaft, die auf manchen alten Landkarten unter dem schönen Namen “Sternstein” erscheint. Der Name leitet sich von Neustadts Nachbarort mit dem heute beim ersten Hören vielleicht einen Tick weniger schönen Namen Störnstein (dessen Internetauftritt stoernstein.de Besucher immer noch mit “Sternstoi – is a schöine Gmoi!” begrüßt) ab.
Die Hauptstadt der Grafschaft aber war Neustadt, wie schon die beiden Schlösser an der Südseite des Stadtplatzes, zeigen. Heute bilden das Alte und das Neue Schloss gemeinsam das Landratsamt. Das Neue Schloss zeigt in seinen Fluren zwei Ausstellungen, eine über die Natur im Bayerischen Wald, eine über die alten Grafen von Neustadt-Sternstein. Darin springt ein aufschlussreicher Aspekt schnell ins Auge: Diese von Lobkowitz, waren umtriebige und kosmopolitische, ursprünglich aber tschechischsprachige Adelige.
Abgesehen davon, dass Bierkenner ihren Namen in seiner tschechischen Form mit – wicz sowieso kennen könnten, belegen das Vornamen wie Zdenko und der Familien-Wahlspruch “‘Popej jsem a popel budu’ ‘(Asche bin ich, Asche werde ich)’ Dieser Wahlspruch der Familie Lobkowitz steht für die Vergänglichkeit des irdischen Lebens”, der wiederum Besucher auf der Nicht-Bier-Seite lobkowitz.de grüßt.
Die böhmische Grafendynastie Lobkowitz hatte zum Beispiel 1618 beim Prager Fenstersturz, dem noch ziemlich unblutigen Beginn des dann für viele Jahrhunderte blutigsten Krieges, des 30-jährigen, eine Rolle gespielt. Die aus dem Hradschin-Fenster geworfenen Katholiken sollen sich ins Haus der Lobkowitz gerettet haben. Zum Lohn für solche Treue zu den katholischen habsburgischen Kaisern hatten die Lobkowitz 1624 die westlich gelegenen Territorien Neustadt und Störnstein zugeteilt bekommen. Deren Vorteil bestand darin, dass sie anders als das von den Habsburgern regierte Königreich Böhmen reichsunmittelbar, also keinem weiteren Kurfürsten, Herzog oder so was untertan waren. Deswegen war ihren Besitzern erlaubt, schönere, höherrangige und repräsentativere Titel zu führen, was im barocken Absolutismus viele Adelige gerne taten.
Dass die Lobkowitz schließlich nicht sehr lange in Neustadt residierten und das eigentlich dreiflügelig geplante Neue Schloss gar nicht mehr zuende bauen ließen, sondern in eines ihrer böhmischen Schlösser umzogen, das zwar nicht reichsunmittelbar war, aber schöner und größer, und dass sie Möbel, Silber undsoweiter aus Neustadt mitnahmen, gehörte genauso zum Zeitgeschmack derer, die sich das im Absolutismus leisten konnten. Und es zeigt, was für komplexe, aus unterschiedlichen und oft auch territorial nicht zusammenhängenden Herrschaftsgebieten bestehenden Gebilde die Staaten im “Heiligen Römischen Reich” waren, das selbst trotz des Namenszusatzes “Deutscher Nation” eben auch kein Nationalstaat war.
Eine ähnliche, noch ältere Ost-West-Bewegung beschert Neustadt gerade ein bisschen überregionale Aufmerksamkeit: Die relative Top-Attraktion des (täglich außer montags geöffneten) Stadtmuseums war kürzlich groß auf der ersten Feuilleton-Seite der “FAZ” abgebildet. Es handelt sich um einen Handschuh Kaiser Karls IV., der im Jahre 1353, kaum dass er in Prag die erste deutsche (und schon früh von Sprachen- und Religionsstreit geprägte) Universität gegründet hatte, Neustadt als Teil seines “Neuböhmens” kaufte, um eine Westverbindung innerhalb seines eigenen Herrschaftsbereichs zu schaffen. Den Handschuh hatte er den Neustädtern als Pfand-Zeichen für eine Schenkung von Wald da gelassen. Tatsächlich, lässt sich im Museum erfahren, besteht dieser kuriose kollektive Corporationswald-Besitz noch immer. Nur der Handschuh ist gerade an die tschechisch-bayrische Landesausstellung ausgeliehen.
Andere Attraktionen des Museums sind kunstfertige Gläser, etwa eine “Schale, die weltweit nur drei mal existiert (Franz Josef Strauß, König Hussein von Jordanien und die Familie Frank sind die Besitzer)”. Was damit zu tun hat, dass Neustadt “die Stadt des Bleikristalls” , tja: ist oder mehr oder weniger war. Schaut man von der Rückseite des Stadtmuseums hinab zum anderen Fluss, an dem bzw. über die Stadt auf ihrem Granitfelsen außer an der Waldnaab auch noch liegt, der Floß, zeigt sich gleich eine große Fabrik. Der Glashersteller, dem sie gehört, hat dort noch seinen offiziellen Sitz und betreibt einen Werksverkauf (er produziert tatsächlich noch in der Region, im nahen Weiden). Aber sehr viel los ist in den Fabrikhallen sichtlich nicht mehr. Einer völlig leerstehenden Glasfabrik eines nicht mehr bestehenden Herstellers begegnet man weiter in Richtung Störnstein, wo die stillgelegte Bahnstrecke in einen Rad- und Wanderweg umgewandelt wurde.
Es glänzt also nicht alles in der kleinen Kreisstadt Neustadt. Aber einem ziemlich interessanten, weniger bekannten Aspekt der deutschen Geschichte begegnet man dort.
Sehr gut recherchierter Blog über meine Heimatstadt!
Habe so auch davon erfahren, dass es unser Handschuh Karls IV. in die FAZ geschafft hat. Übrigens kehrt er zwischen den Landesausstellungen in Prag und Nürnberg und danach dauerhaft in unser Museum zurück!!
Ein kleiner Fehler ist einzig, dass die Ausstellung im Neuen Schloss vom Naturpark Nördlicher Oberpfälzer Wald handelt!
Vielen Dank!!