Die letzte Zeit “mit ihrer ins Unglaubliche gesteigerten Kommunikation”, von der ein bekannter Schriftsteller mit leicht seufzendem Unterton schrieb, war nicht etwa die, in der Twitter und Facebook die Echtzeit aufzufressen begannen. Oder die, in denen T-Online und AOL Internetzugänge per Flatrate anzubieten begannen, oder die, in denen wegen des Privatfernsehens der Sendeschluss verschwand, oder die, in denen man auf einmal mit Faxgeräten Texte schneller als per Post verschicken konnte … Vielmehr lag sie tief im 19. Jahrhundert, als die in tausend- oder auch mal millionenfachen Auflagen in Neuruppin (Brandenburg) gedruckten Bilderbögen wegen der zunehmenden Verbreitung von Zeitungen allmählich altmodisch erscheinen mochten.
Theodor Fontane ist’s, der in seinen “Wanderungen durch die Mark Brandenburg” so schön zum Ausdruck brachte, dass die Menschen sich mindestens seit anderthalb Jahrhunderten von Informationsfluten überschwemmt fühlen.
Solche Bilderbögen präsentiert seit Januar 2015 das neu ausgebaute Museum der Stadt Neuruppin in schöner Form. Zwischen 1810 und 1935 sind über 20.000 Stück mit mehr oder minder aktuellen Inhalten erschienen. Hergestellt wurden sie mit der damals disruptiven Technik der Lithographie. (Die vielen Senefelderstraßen, z.B. in Berlin-Prenzlauer Berg gibt es eine, führen nicht etwa Richtung eines Senefelds, sondern sind nach dem Erfinder benannt …).
Fontane berichtet von seinen Erinnerungen an Abbildungen preußisch-dänischer Schlachten (“… und tief sind meinem Gedächtnisse die Dänen eingeprägt, die in zinnoberroten Röcken vor dem Danewerk lagen, während die preußischen Garden in Blau auf Schleswig und Schloß Gottorp losrückten.”). Im Museum lässt sich ansehen, dass die Neuruppiner aber auch preußische Niederlagen gegen dänische Truppen druckten – für den dänischen Markt. So erlangten drei Unternehmen internationale Geltung. In Neuruppin ist als von “einem der erfolgreichsten Massenmedien der Geschichte” die Rede.
Mit Oehmigke & Riemschneider war eine der Bilderbogen-Firmen politisch fortschrittlich und zeigte etwa das “Leichenbegängniß der … gefallenen Freiheitskämpfer” des Jahres 1848, die nach der gewaltsamen Niederschlagung der Revolution nicht mehr so bezeichnet wurden. Es wurde aber auch die österreichische Kaiserin Elisabeth abgebildet (als sie noch nicht wie Romy Schneider aussah). Überhaupt waren schon seinerzeit Royals als Medieninhalt populär, von denen es damals auch in Deutschland noch viel mehr gab …
Für die Buntheit der Bilderbögen sorgten “Kinder der ärmsten Einwohner der Stadt, die gegen ein geringes Entgelt wöchentlich bis zu 45 Stunden vor und nach dem Unterricht, an Tischen stehend, Bilderbogen kolorierten”. Das berichtet die ehemalige Heimatmuseums-Leiterin Lisa Riedel in einem schönen Bilderbogen-Bilderbuch, das sich im heutigen Museum kaufen lässt. Ein 1882 erlassenes ausdrückliches Verbot änderte wohl wenig daran. Erst ab 1900 seien Vierfarbdruckpressen zum Einsatz gekommen.
Wo, wie eben erwähnt, von “einem der erfolgreichsten Massenmedien der Geschichte” die Rede ist? In der Neuruppiner Bilderbogenpassage gleich dem Museum gegenüber. In der mit Radiohits und -werbung beschallten Einkaufspassage sind weitere Bilderbögen zu sehen. Schließlich befand sich dort, wo sie nun zum Einkaufen einlädt (bzw. anzeigt, dass es dem stationären Einzelhandel Neuruppins nicht grundsätzlich besser geht als anderswo in der Digitalära), einst der Sitz der größten Bilderbogen-Firma Gustav Kühn.
Auf der anderen Passagen-Seite breitet sich dann einer der sehr großen Plätze aus, die neben sehr breiten Straßen Neuruppins Stadtbild prägen.
“Dadurch entsteht eine Öde und Leere, die zuletzt den Eindruck der Langenweile macht”, schrieb wiederum Fontane, der gewiss wohlwollend war, schließlich wurde er in Neuruppin geboren. Dieses klassizistische Stadtbild hat mit dem sehr großen Stadtbrand von 1787 bzw. dem anschließenden, sechzehnjährigen Wiederaufbau “in einer Art Residenzstil” (Fontane) zu tun, der gar so breit, wie er aussieht, nicht überall geplant war. Zum Beispiel die Leere des 33.000 Quadratmeter großen damaligen Königsplatzes, der heute nach dem seinerzeit an “den Regeln der Kunst, Geometrie und Proportionslehre” orientierten Stadtbaudirektor Bernhard Mattias Brasch benannt ist: Dort sollte eine neue evangelisch-reformierte Kirche entstehen, deren Finanzierung dann aber nicht zustande kam.
Das erfährt man in der Stadtbrand-Ausstellung in der evangelisch-lutherischen Kirche, die damals tatsächlich neu (und ungewöhnlich quer) gebaut wurde. Allerdings wurde ihr Dach aus Holz errichtet, obwohl nach dem Brand eigentlich alle Bauten aus Stein sein sollten. Nachdem die seinerzeit stolze Summe von mehr als einer Million Taler verbaut worden war, war jedoch nicht mehr genug Geld übrig. Anno 1970, in der DDR, wurde die Kirche dann wegen Einsturzgefahr des Holzdaches geschlossen. Inzwischen restauriert, fungiert sie nicht mehr als Kirche, sondern als Veranstaltungszentrum Kulturkirche. Es treten Künstler wie Gernot Hassknecht und das Brandenburgische Staatsorchester auf (und ganz besonders die Prinzen …).
Weitestgehend aus Stein bestehen aber die Reihen unterschiedlich großer, also nicht mehr absolutistisch einheitlicher, und dezent bunter Wohnhäuser. Erbsgelb oder fahlgrün hießen, nur zum Beispiel, Farbtöne, die die Bürger wählen konnten. Neuruppin ist also durchaus interessant anzusehen, zumal der gedämpfte Stilpluralismus an den anderen immer noch sehr bekannten gebürtigen Neuruppiner, Karl Friedrich Schinkel, erinnert. Gerne und oft wird der Ort “die preußischste aller Städte” genannt (wie mal nicht Fontane schrieb; wer, weiß ich allerdings nicht …). Genau die Ambivalenz, die dieses Preußen aus gegenwärtiger Sicht kennzeichnet, kann Stadt tatsächlich ausstrahlen.
Und die derzeit zu beobachtende Mischung aus restaurierten und weniger restaurierten Häusern wirkt authentischer als in manch anderen Städten der ehemaligen DDR.
“Die Billigkeit erheischt hinzuzufügen, daß wir es unglücklich trafen: das Gymnasium hatte Ferien und die Garnison Mobilmachung”, schob Fontane in punkto Leere nach. Zwei Kasernen waren, wie fast immer in Preußen, Fixpunkte der Stadtplanung. Seit dem Abzug der zuvor wohl sehr präsent gewesenen Roten Armee in den 1990ern gibt’s in Neuruppin aber keine Garnison mehr.
Dagegen, auf ehemaligem DDR-Gebiet auch nicht gerade selbstverständlich, besteht noch eine über ein Jahrhundert alte Industrieproduktions-Tradition, die mittelbar ebenfalls mit dem großen Stadtbrand zusammenhängen könnte. Seit über 100 Jahren werden in Neuruppin Feuerlöscher hergestellt. Dass die einst dort ersonnene Marke “Minimax” nach dem Krieg in den Westen übersiedelte, hat daran nichts geändert. Die Neuruppiner Feuerlöscher-Marke heißt nun “neuruppin”.