Wer in Gunzenhausen (Bayern) tagsüber mal die Straßenseite wechseln kann, sollte es einfach tun. Allzu oft kommt die Gelegenheit nicht. Der Autoverkehr fließt wie am Schnürchen, was gewiss vor allem zeigt, wie sehr in Mittelfranken die Wirtschaft brummt.
Als “Stadt der Türme” (was allerdings alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal ist) sowie “eine der vier Hauptstädte des Fürstentums Brandenburg-Ansbach” stellt die Stadt sich in ihrem Prospektmaterial vor. Das klingt nach viele Hauptstädten für ein eher kleines Territorium. Andererseits, wenn man sich in diese Geschichte ein wenig vertieft (oder bloß in der Broschüre “Die Hohenzollern in Franken” blättert, auf S. 41), hatte das verwandte Hohenzollern-Territorium Brandenburg-Bayreuth sogar sechs Hauptstädte. Das jedenfalls illustriert, wie das hochföderalistische “Heilige Römische Reich Deutscher Nation” in seiner späten Phase auch tickte.
Dass Gunzenhausens heutiges Rathaus, das der dort wohl noch berühmte, jenseits seines einstigen Herrschaftsgebiets eher wenig bekannte “Wilde Markgraf” Carl Willhelm Friedrich von Brandenburg-Ansbach als herrschaftliches Schloss nutzte, als solches “nach zahlreichen Umbauten und Nutzungsänderungen … wenig erkennbar” ist, also überhaupt nicht nach Schloss aussieht, gibt aber auch die Touristik Information der Stadt selbst zu.
Was Gunzenhausen mit einer anderen, sogar noch aktuellen Hauptstadt verbindet: Auf dem Boden ist an einigen Stellen der Verlauf einer prominenten Grenze nachgezeichnet. Der Limes, also der römische Grenzwall gegen die Germanen vom Anfang des ersten Jahrtausends, ist viel älter als die Berliner Mauer, hat aber auch länger gehalten. Wo sich der eigentliche Limes selbst noch abzeichnet oder erahnen lässt, in den Wäldern der Umgebung, spazierenzugehen, ist trotz der pittoresken Türme und des Flüsschens Altmühl, das bei Gunzenhausen entlang fließt, dann doch etwas schöner als in der autogerechten Stadt.
Wenn man nach dem Aufenthalt Gunzenhausen googelt, erfährt man schnell, wovon die Broschüren des Städtchens nur in Andeutungen sprechen (“Von einem der schönsten jüdischen Gotteshäuser Frankens bleibt nur die Erinnerung…”) oder schweigen: von der finsteren globalen Aufmerksamkeit, die Gunzenhausen schon früh in der Nazizeit erlangte, sowie sozusagen als Spätfolge, also Folge der Ankunft der amerikanischen Befreier, vom Aufenthalt des “Der Fänger im Roggen”-Autors J. D. Salinger. Was auch beweist, wie sinnvoll die Wikipedia ist (die zum FAZ-Artikel über Salinger verlinkt).
Der Gerechtigkeit halber: Morgens, wenn die Mülltonnen blitzblank, aber nicht ganz in Reih und Glied, am Bürgersteig stehen, ist es übrigens kein Problem, in Gunzenhausen die Straße zu überqueren.
Auf den Fotos hier fließt dieser Autoverkehr aber nicht gerade wie am Schnürchen…
Stimmt, in Gunzenhausen hab ich die falschen Fotos gemacht