Dass sich unter den global bekannten klassischen Komponisten ziemlich viele deutschsprachige und italienische befinden, hängt mit der historischen Entwicklung dieser Regionen zusammen: Es gab jahrhundertlang besonders viele Kleinstaaten und daher besonders viele Höfe, an denen sich künstlerisch veranlagte Fürsten gerne auch Musik und damit Kapellmeister hielten. Und die schrieben ihre Musik oft selbst.
Anhand deutscher Fürstentümer des 18. Jahrhunderts veranschaulicht die vierteilige Serie “Johann Sebastian Bach” des DDR-Fernsehens aus den 1980er Jahren das eindrucksvoll (und auch unter feudalismuskritischen Aspekten, die inzwischen vielleicht etwas kurz kommen…). In Köthen, das heute in Sachsen-Anhalt liegt, war Bach von 1717 bis 1723 Hofkapellmeister des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen. Zuvor hatte er am Weimarer Hof den in der Hierarchie weiter unter stehenden Posten des Konzertmeisters bekleidet. Weil ihm nach dem Tod des alten Kapellmeisters die erwartete Beförderung verwehrt blieb (die Umstände schildert die Webseite bach.de), wechselte Bach nach Köthen – sozusagen in ein noch kleineres Weimar. Dort erhielt er den höchsten Titel seiner Karriere. Die heute beliebte Bach-Anekdote, dass er zuvor in Weimar noch einen Monat im Gefängnis verbringen musste, weil “nach weimarischer Landesordnung …niemand ohne ausdrückliche Genehmigung des Herzogs das Land verlassen” durfte (bach.de), zeigt, dass die längst selbstverständliche Freizügigkeit, die seinerzeit spätestens an den oft engen Landesgrenzen endete, auch ein schönes Menschrecht darstellt.
Das Schloss von Köthen, das bis Mitte des 19. Jahrhunderts als Residenz des Kleinstaats Anhalt-Köthen betrieben wurde, steht als mehrteiliges, fast Fort-förmiges Ex-Wasserschloss mit Renaissancetürmen im Zentrum der Ortschaft. Es enthält gleich drei (an Werktagen nicht unter Besucherandrang leidende) Museen, darunter ein historisches, das vor allem auf die Bach-Vergangenheit der Ortschaft rekurriert. Dass dieses Museum durch Struktur besticht, lässt sich nicht behaupten. Gerade das Assoziativ-Zufällige der Ausstellungsgegenstände in den einst fürstlichen Räumlichkeiten aber könnte der digitalen Gegenwart angemessen sein. Zumindest vermittelt sich eine Ahnung, wie es damals an Fürstenhöfen kleiner Staaten mit begrenzten Etats, aber ziemlich absolutistischem Anspruch zugegangen sein mag. Zu sehen sind außer Musikinstrumenten aus der Bachzeit z.B. Brief-Faksimiles; eines belegt, wie Bach beim Wein-Kauf für die Hochzeitsfeier mit Anna Magdalena (übrigens einer Tochter des fürstlichen Hof- und Feldtrompeters der Weißenfelser Residenz) übers Ohr gehauen wurde; das hatten schon seinerzeit fürstliche Revisoren erkannt. Außerdem ausgestellt: “Marzipan-Modeln”, die bei Geburtstagsfeiern junger Prinzessinnen und Prinzen Verwendung fanden, und Zeugnisse von der Kavaliersreise des Fürsten durch Europa vor dem Antritt seiner ererbten Macht, auf der er erfreulicherweise vor allem Geschmack an Musik fand.
In heutigen Köthener Broschüren wird gern zitiert, wie Bach sich später in Leipzig über den Ort äußerte:
“Daselbst hatte einen gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten; bey welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen”,
formulierte er in einem Brief. Doch nachdem der Fürst sich verheiratet hatte, litt dann wohl die Liebe zur Musik:
“Es muste sich aber fügen, daß erwehnter Serenißimus sich mit einer Berenburgischen Princeßin vermählete, da es denn das Ansehen gewinnen wolte, als ob die musicalische Inclination bey besagtem Fürsten in etwas laulicht werden wolte, zumahln da die neüe Fürstin schiene eine amusa zu seyn”,
so Bach weiter, nachdem er ins bürgerliche Leipzig weitergezogen war – wo er bekanntlich auch nicht als Genie begrüßt wurde. Dass er dort nur dritte Wahl als Kantor war, ist heute ein beliebter Baustein zum Anmoderieren von Bach/ Leipzig-Beiträgen im Rundfunk.
Jedenfalls, ein Bach-Werk, das selbst nicht ungeheuer profunde Kenner klassischer Musik [wie mich] beeindruckt, stammt aus Köthen: dasjenige, in dem er “das Prinzip der instrumentalen ‘Rivalität’ zu seinem Paroxysmus” führte, “wobei er ein nie zuvor dagewesenes harmonisches und kontrapunktisches Raffinement an den Tag” legte. So formuliert es die Akademie für Alte Musik Berlin auf der CD mit ihrer Einspielung der “Brandenburgischen Konzerte”, die allerdings halt, dummerweise aus Köthener Sicht, den Titel “Brandenburgisch” tragen (weil sie einst für einen Brandenburger Nebenfürsten entstanden). Wobei man andererseits fragen kann, ob der Titel “Köthener Konzerte” heute ähnlich attraktiven Klang besäße. Was die Entstehung des Namens “Köthen” betrifft, verweist die Wikipedia übrigens auf den Artikel über “Kötter”, also Kleinbauern mit eigenem Häuschen.
Ein anderes vielschichtiges Köthener Phänomen, dem das Schlossmuseum einen prallvollen Ausstellungsraum widmet, ist die “Fruchtbringende Gesellschaft”, die im Jahrhundert vor demjenigen Bachs in Köthen ihren Sitz hatte. Als “die früheste, größte und bedeutendste kulturelle Vereinigung des 17. Jahrhunderts in Deutschland”, besitzt sie zweifellos historische Bedeutung. Und übrigens in der Accademia della Crusca (deren erstes deutsches Mitglied wiederum Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen war, der Gründer der FG) auch ein italienisches Vorbild. Ob es allerdings nötig war, anno 2007 in Köthen eine “Neue Fruchtbringende Gesellschaft” zu gründen – ähm, tja…
Auf dieser Seite sollte in jedem Fall der weltbekannte Spiegelsaal im Schloß Köthen Erwähnung finden. In diesem Saal hat bereits Bach gespielt. Seit dem Jahr 2011 wird der Saal umfangreich restauriert. Wie lange diese Arbeiten noch andauern werden ist sehr ungewiß. Dafür gibt es in der Stadt einige andere Sehenswürdigkeiten wie z.B. das Naumannmuseum (bekannter Vogelkundler) im Schloß oder die Europäische Homöopatische Bibliothek.
Wenn Sie einen Besuch der Stadt planen so schauen Sie doch vorher auf die Webcam der Stadt. Webcam vom Marktplatz und der Jakobskirche.