Der Bahnsteig des Haltepunkts in der baden-württembergischen Gemeinde Königsbronn hat eine Gemeinsamkeit mit der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte: Dort steht ein jeweils eindrucksvolles Denkmal für den zweitbekanntesten deutschen Hitler-Attentäter, Georg Elser.
Beide Denkmäler sind noch recht frisch: Das Berliner “Denkzeichen” des Künstlers Ulrich Klages ragt etwa dort empor, wo einst Hitlers Reichskanzlei und der Führerbunker standen, und wurde Ende 2011 eingeweiht. Ungeheuer viel ist darüber nicht berichtet worden, weshalb es zwischen dem Initiator, dem so streitbaren wie verdienten Dramatiker Rolf Hochhuth, und der Nachrichtenagentur DPA eine etwas obskure Streitigkeit gab (“Tagesspiegel” 2012).
Das Königsbronner Denkmal des Künstlers Friedrich Frankowitsch wurde 2010 eingeweiht. Allerdings gibt es im Ort schon seit 1998 eine Gedenkstätte für Elser, der dort große Teile seines Lebens in der Gegend verbracht hatte, bevor er 1939 zum Attentat Richtung München aufbrach, nach dessen knappem Scheitern vor der schweizerischen Grenze verhaftet und 1945 in Dachau ermordet wurde.
In Heidenheim-Schnaitheim, der nächsten Ortschaft südlich, entstand (auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) 1972 das allererste Elser-Denkmal. Dort sitzt auch der Georg-Elser-Arbeitskreis, der online sehr ausführliche Informationen bereitstellt – etwa eine mit Elser-Ehrungen inzwischen halbwegs gefüllte Deutschlandkarte, einen wortgewaltigen Versuch des einheimischen Politikwissenschaftlers Hans-Georg Wehling, Elser als “typisches Kind seiner altwürttembergisch-protestantischen Heimat” zu erklären, und eine Übersicht über die Entwicklung des Elser-Forschungsstands. Sie erklärt zumindest ansatzweise, warum der Mann, der mehr als viereinhalb Jahre vor Claus Graf von Stauffenberg einen Versuch unternahm, Hitler zu töten, so lange vergessen blieb (oder sogar verleumdet wurde). Elsers “Voraussicht künftigen Unheils beschämte offenbar – man möchte fast sagen: kränkte – all jene, die den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus angeblich nicht oder zu spät erkannt haben”, heißt es in einer Rede Jutta Limbachs von 2003, aus der Auszüge auf dem schmalen Bahnsteig zitiert sind.
Außer den Elser-Stätten hat Königsbronn noch zwei weitere überregional interessante Attraktionen zu bieten. Die eine ist eine aus dem 14. Jahrhundert stammende Klosteranlage mit bewegter Geschichte. Die Kirche, die jetzt dort steht, wurde ab 1565 als evangelische erbaut, nachdem die größere Vorgängerin im Schmalkaldischen Krieg (einem verwickelten konfessionellen Krieg) von Truppen Albrecht Alcibiades‘, eines Markgrafen des Fürstentums mit dem auch komplizierten Namen Brandenburg-Kulmbach, zerstört worden war.
Ruinen dieser zerstörten alten Kirche sind noch auf der Wiese hinter dem Elser-Denkmal zu sehen (Foto oben). Weitere Gebäude des großen Klosterareals dienten nach der Reformation als Jagdschloss der württembergischen Herzöge; die heutige Klosterbrauerei Königsbronn sieht nur von außen aus, als könnte dort noch gebraut werden. Tatsächlich beschäftigt sie sich aber mit etwas vollständig anderem.
Die dritte Attraktion ist ein Industriedenkmal. Zumindest wird am Brenzursprung, der Quelle des Flusses Brenz, ausgiebig an den Eisernen Wasserkasten des Frühindustriellen Johann Georg Belzinger erinnert. Dort, wo heute eine zum Veranstaltungszentrum umgebaute Hammerschmiede steht, habe er im 18. Jahrhundert Räder, Blasebälge und Hämmer in zwei Schmieden von Wasserkraft betrieben und so die Gegend zum “bestaunten Zentrum der Eisenindustrie” gemacht. Auf vielen Texttafeln wird – kein Wunder im vor Weltmarktführern wimmelnden Baden-Württemberg – die weitere Geschichte der Industrie erläutert: die Wasserkraft-Tradition des Unternehmens Voith aus dem nahen Heidenheim und die Königsbronner Spezialisierung auf das Nischenprodukt Hartgusswalzen im 19. Jahrhundert. “Noch heute sind die Schwäbischen Hüttenwerke Weltmarktführer gerade bei der Herstellung von Hartgusswalzen für die Papierindustrie”, schlägt diese Erzählung (hier ähnlich auf koenigsbronn.de) stolz den Bogen in die Gegenwart. Tatsächlich befindet sich auf der anderen Seite der Durchfahrtsstraße (die so stark befahren ist, dass für Fußgänger extra eine Unterführung gebaut wurde) ein silbern gleißendes Gebäude, in dem diese Schwäbischen Hüttenwerke ansässig sind.
Allerdings, Papierindustrie, Papierindustrie… Wer manchmal die Medien-Meldungen verfolgt (oder, wie ich, Medienjournalist ist), weiß, dass vielleicht noch nicht grundsätzlich die großen Zeit der Papiers vorbei ist, aber es zumindest die Zeiten sind, in denen dort noch das Wachstum zu erwarten war, das industrielle Nischen-Weltmarktführer nach gängigen betriebswirtschaftlichen Konzepten benötigen.
Eine schnelle Online-Nachrecherche ergibt: Die SHW Casting Technologies GmbH aus Aalen-Wasseralfingen, zu der die Königsbronner Gießerei gehört, musste im April dieses Jahres Insolvenz anmelden. Im Bericht bei schwaebische.de wird diese SHW sogar – ein Superlativ, der den Texttafeln am Brenzursprung irgendwie entgangen ist – als “das älteste Industrieunternehmen in Deutschland” bezeichnet: 2015 würde es sein 650-jähriges Bestehen begehen, denn in Königsbronn sei anno 1365 mit industrieller Eisenverarbeitung begonnen worden. “Gegründet wurde das Werk in Königsbronn von Zisterziensermönchen”, heißt es auf der ausführlicheren Unternehmensgeschichts-Webseite bei shw-ct.eu.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt noch andere Unternehmen namens SHW – etwa den Autozulieferer aus dem ebenfalls nahen Aalen, der auf seiner Startseite Startseite shw.de derzeit genau darauf (dass er höchstens historisch in Zusammenhang mit anderen SHWs steht) hinweist, und sich in seiner Unternehmensgeschichtsdarstellung ebenfalls bis ins Jahr 1365 zurückverfolgt, sodass das Jubiläum 2015 schon begangen werden kann. Es wäre aber doch schön, wenn das auch dort geschehen könnte, wo die ersten Georg-Elser-Gedenkstätten entstanden sind und Elser selbst übrigens anno 1917 auch eine Eisendreher-Lehre begann.
Ich habe 1960 Abitur bei den Urscheles in Wuerzburg gemacht. Wir haben nie ueber Hitler gesprochen. Ich bin seit 1964 in Kalifornien und habe viel seit dann gelernt. Im Wuerzburger Friedhof ist ein Grabmal der von Stauffenberg Familie (ohne die einzelnen Namen!)
Vielen Dank fuer “Expedition in die Heimat”.