Auch wenn man heutzutage spontan nicht unbedingt draufkommt: Skat ist nicht bloß ein unterhaltsames, sondern auch ein relativ demokratisches Kartenspiel (bzw. ein republikanisches, wobei dieses Adjektiv der gleichnamigen Partei wegen im Deutschen ja immer noch verbrannt scheint). Schließlich kann beim Skat auch gewinnen, wem das Schicksal oder wer auch immer ein schlechtes Blatt zugeteilt hat. Und das Sinnvollste, das sich mit Königen anstellen lässt, ist, sie strategisch abzuwerfen.
Tatsächlich wurde das Skatspiel in einer doppelt demokratisch/ republikanisch gestimmten Zeit erfunden: kurz nach der französischen Revolution und vor den sog. Befreiungskriegen gegen Napoleon und die französischen Besatzer am Anfang des 19. Jahrhunderts. Das Städtchen, das die Erfindung des Spiels für sich reklamiert und in dem tatsächlich noch immer Spielkarten hergestellt werden, heißt Altenburg (Thüringen).
Das darin natürlich enthaltene Spielkartenmuseum muss man sich von innen nicht unbedingt anschauen. Aber es von außen lohnt es, denn es ist zugleich das Schloss, und ein vergleichsweise spektakuläres. Wenn man sich ihm vom Bahnhof her nähert, der in einer heutzutage nicht ungeheuer belebten Gegend Altenburgs liegt, und dann der Straße mit dem interessanten Namen “Neue Sorge” bergauf folgt, sieht man erst einmal nur einen Turm.
Dann erscheinen zwei stattliche Häuser hinter einer stattlichen Burgmauer. Dann erscheint noch ein Turm, und allmählich zeichnet sich das große Ganze ab. Eine Kirche gehört ebenfalls noch dazu. All das und noch mehr wurde im Lauf der Jahrhunderte aneinander gebaut, sodass sich rundum ein organisch rundherum gewachsenes, aus jeder Richtung etwas anders aussehendes Schlossburgkirchendings ergibt, das stattlich über dem Städtchen thront. (Und entschieden zu groß ist, um sich von einer Handykamera fotografieren zu lassen; hier auf der Schloss-Webseite ist es ganz zu sehen). Innen befinden sich u.a. ein kleiner Garten, ein mächtig sich wölbender Schlosshof, und darin manchmal eine Freilichtbühne, auf der im Sommer Open-Air-Spektakel aus der (zumindest aus Altenburger Sicht) bewegten Geschichte Altenburgs nachgespielt werden.
Was so ein Schloss auch fast immer anzeigt: Altenburg war, wie so gut wie jedes andere Städtchen im heutigen Thüringen, natürlich auch die Haupstadt seines Territoriums und Residenzstadt der entsprechenden Fürsten – frühe demokratische Ansätzchen hin oder her. Es war das sogar bis zum November 1918, als im Gefolge Kaiser Wilhelms II. alle noch vorhandenen deutschen Fürsten eher abdankten als abgeworfen wurden. Sachsen-Altenburgs letzter Fürst hieß Ernst II. und blieb auch in den folgenden Jahrzehnten in der näheren bzw. mittleren Umgebung wohnen. Wie und wo genau, berichtet ein Buch, das an der Schlosskasse erhältlich ist. Der Autor Uwe Gillmeister zeichnet mit ungeheurer Akribie jedes Lebensjahr des Herzogs nach, so weit es sich rekonstruieren lässt. Am Anfang langweilt das vielleicht ein wenig, es gewinnt aber einen merkwürdigen Sog.
Nachdem er 1898 eine Prinzessin aus Bückeburg geheiratet hatte, lebte dieser Ernst im frühen 20. Jahrhundert, während er darauf wartete, seinem Vater als regierender Fürst auf dem Thron zu folgen, sehr, äh, standesgemäß, ging gern und oft auf die Jagd, schaffte sich einen Löwen und Affen an, als early adopter damals neuer Technologien aber auch Automobile und Telefone.
1914 führte er als Kommandeur eines Infanterieregiments viele Altenburger in den Ersten Weltkrieg, an dessen Ende er dann seinen Thron verlor. In den 1920er Jahren mehrte und verlor der wie alle anderen Ex-Herrscher nicht oder kaum enteignete Fürst sein Vermögen in jeweils wohl beträchtlichem Ausmaß. In den 1930ern trat er der NSDAP bei und jagte weiterhin gern. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber tat dieser Ernst etwas, das ihm ein gültig gebliebenes Alleinstellungsmerkmal gegenüber den vielen sonstigen deutschen Fürsten verschaffte: Er blieb in seinem Jagdschloss mit dem hübschen Namen “Fröhliche Wiederkunft” (das nicht in der unmittelbaren Nähe liegt, aber zum alten Sachsen-Altenburg gehörte) wohnen, weil ihn die sowjetischen Besatzer ließen und er “die glückliche Gabe, sich mit den Verhältnissen anzufinden” besaß, wie es sein einstiger Mundkoch formulierte. “Somit war Ernst II. der einzige ehemalige deutsche Bundesfürst, der Bürger der DDR wurde”, heißt es in der Wikipedia. Er starb 1955.
“Vom Thron auf den Hund” ist ein kongenialer Titel für dieses erschöpfende, aber auch eigenartig faszinierende Buch. Dass in so unterschiedlichen Systemen wie dem wilhelminischen Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem Nazistaat sowie DDR bzw. BRD die Einwohner weitgehend dieselben geblieben waren, ist ja auch etwas, auf das man aus heutiger Sicht nicht immer sofort kommt.
Im eigentlichen Altenburg gibt es ansonsten einen großen Marktplatz und, wieder rund um das Schloss (sofern man nicht der Neuen Sorge folgt), einen schönen Schlosspark, in dem neben anderen Statuen auch ein Pelikan steht.
Also immer der Neuen Sorgen folgen?