Es war ein reiner Zufall, an den kürzlich unter eher geringer Beachtung der überregionaleren Öffentlichkeit (siehe aber mainpost.de) in der südthüringischen Kleinstadt Meiningen erinnert wurde, aber ein aufschlussreicher: Am selben Tag des Jahres 1914, an dem in Sarajewo der österreichische Kronprinz erschossen worden war, wurde in Meiningen der “Theaterherzog” Georg II. begraben.
Dieser Georg war regierender Herzog im Kleinststaat Sachsen-Meiningen. Das Attribut “Theaterherzog” heißt, dass er lieber als zu regieren Regie führte (aber auch als Kostüm- und Bühnenbildner sowie Theaterdirektor arbeitete). Es lässt sich ungefähr so verstehen wie “Märchenkönig”. Zwar war der bayerische Ludwig II. 1914 schon fast drei Jahrzehnte lang tot, aber er war nicht nur ein Zeitgenosse jenes Georg gewesen, sogar ein fast 20 Jahre jüngerer, sondern sozusagen auch ein Standesgenosse (wenn man Standesdünkeln keine zu große Bedeutung beimisst: Ludwig war eben König, Georg nicht mal Großherzog gewesen, sondern einfacher Herzog). Aber als Erbherrscher in diffus gewordener, seit 1871 dem Kaiser des Deutschen Reichs in Berlin untergeordneter Funktion ein Territorium regiert haben sie beide. Und beide wenig Lust zu so einem Regieren gehabt oder geahnt bis gewusst, dass solch Regieren aus Gottesgnadentum sogar in Deutschland allmählich obsolet wurde.
Ludwig hat dann märchenhafte Schlösser erbauen lassen, deren horrende Kosten seine Untertanen zu seiner Absetzung veranlassten (obwohl sie als Tourismusattraktionen schon im selben Jahrhundert diese Kosten wieder eingespielt haben dürften und noch immer Gewinne einspielen). Georg hat seinem Residenzstädtchen ebenfalls einen Standortfaktor beschert und es zu der Theaterstadt gemacht, die Meiningen immer noch ist. “Kultur als Behauptungsstrategie”, hieß eine Tagung kürzlich in Meiningen im Juni lief. Während Ludwig sich vermutlich in Sphären bewegte, in denen er nicht so gedacht hatte, kann man jenem Georg unterstellen, es so gesehen zu haben.
Auf den Thron gekommen – eine Art Thron steht tatsächlich im Meininger Schloss Elisabethenburg, das heute eine prallvolle Wundertüte von Museum ist – war Georg II. 1866. Nach dem deutsch-deutschen Krieg sind einige Staaten wie das Königreich Hannover (dessen letzter König auch Georg hieß und als Komponist ebenfalls Künstler war …) und das Herzogtum Nassau von den Landkarten verschwunden, also von Preußen annektiert worden.
Auch Sachsen-Meiningen hatte auf der Verliererseite gestanden. Wie das heute ebenfalls thüringische, noch kleinere Reuß-Greiz scheint es den Preußen damals zu gleichgültig gewesen zu sein, um sich die Mühe des Annektierens zu machen. In Meiningen musste bloß der alte Herzog abtreten. Er hatte den schönen Monarchennamen Bernhard II. Erich Freund getragen – “Ehrich Freund, weil er seine Diener und Untertanen ehren und ihr Freund bleiben sollte” (meiningermuseen.de). Als Nachfolger schien sein Sohn den Preußen wahrscheinlich geeignet, weil er in einem preußischen Garde-Kürassier-Regiment Militärdienst geleistet hatte. Georg hatte also schon mit der Amtseinsetzung erfahren, dass es mit seiner Macht nicht ungeheuer weit her war, und sein Faible fürs Theater zu einer Art Kleinstaatsräson gemacht.
Solche Was-mit-Kultur-Höfe hatten Tradition in der Gegend. So waren am Meininger Hof zum Beispiel waren gleich zwei Bachs tätig gewesen, in der Zeit, in der auch Johann Sebastian an Höfen der Umgebung wirkte. Allerdings waren der Meininger Gottlieb Friedrich Bach und anschließend sein Sohn Johann Philipp Hofmaler, -organist und -cembalist zugleich gewesen. Was schön illustriert, dass viele Künstler/ Kreative schon immer mit Bauchläden unterwegs gewesen waren. Später versuchten zwei Meininger Herzöge, Goethe aus dem nahen Weimar abzuwerben (und irgendwie versäumt, Friedrich Schiller, der auf seiner Flucht aus dem weniger dichterfreundlichen Württemberg zeitweise in und bei Meiningen gelebt hatte, für ihren Hof zu akquirieren).
Hoftheater gab es in Meiningen wie an anderen der im 18. Jahrhundert noch irre zahlreichen deutschen Höfe zeitweise auch. Wie anderswo rissen Theatertraditionen dann wieder ab, weil eben jeder Thronerbe eigenen Vorlieben folgte (und Untertanen meistens schon dankbar sein mussten, wenn ihre Herrscher das Lieblings-Hobby der meisten Fürsten, die Jagd, nicht zu leidenschaftlich ausübten). Früher dabei in der Theatergeschichte war, nur zum Beispiel das auf den Superlativ “Europas ältestes regelmäßig bespieltes Barocktheater mit festem Ensemble” stolze Celle.
Aber die Kulturgeschichte lehrt ja auch, dass früh dabei zu sein, keineswegs immer Erfolg bedeutet, sondern wichtiger ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Ein mit 600 Sitz- und 160 Stehplätzen recht großes Theater war in Meiningen dort, wo auch heute noch das Theater steht, anno 1831 unter Herzog Freund eröffnet worden (übrigens mit der Oper “Fra Diavolo”, die durch ihre freie Laurel & Hardy-Adaption – den Film, in dem die beiden “Kniechen, Näschen, Öhrchen” spielen, was allerdings in der Originaloper wohl nicht vorkommt, noch etwas geläufig ist …).
Darauf baute sein Sohn dann auf:
“Das Resultat waren aufsehenerregende Inszenierungen, mit denen die Meininger zwischen 1874 und 1890 durch ganz Europa reisten. So wurde das Meininger Theater zur Wiege des Naturalismus und des kritischen Realismus auf der Bühne und in der Bühnenliteratur”,
fasst die offizielle Webseite das-meininger-theater.de zusammen. Das “kritisch” darf man natürlich nicht so verstehen, dass Georg wirklich kritische Stücke wie vom zeitgenössischen Namensvetter Georg Büchner spielen ließ. Aber die theaterhistorische Bedeutung ist ziemlich unstrittig:
“Die ‘Meininger Gastspiele’ wurden zur Legende. Das Ensemble reiste von 1874 bis 1890 – ein logistisches Meisterstück – mit samt Bühnenbildern, Requisiten und Kostümen per Bahn durch 39 Städte, von London bis Kiew mit 2591 Vorstellungen – überwiegend Werke von Shakespeare, Schiller und Goethe wurden aus der gefühlsentleerten Inszenierungskonvention herausgeführt. Das Meininger Theater wurde zur Wiege des Naturalismus und verschaffte dem modernen Regietheater seinen Durchbruch. Stanislavski entwickelte aufgrund seiner Eindrücke der ‘Meininger Spielweise’ seine Lehr- und Regiemethode, die später Bertold Brecht in Berlin, Sergeij Eisenstein in Moskau und Lee Strassberg in New York weiterführte”,
steht auf der privaten Webseite theater-meiningen.de. Das logistische Meisterstück gelang, weil diese Epoche auch die war, in der sich Eisenbahnen so richtig durchsetzten und überall Eisenbahnlinien frisch gebaut wurden.
Bemerkenswert bleibt ferner das Kunststück, dass das herzogliche Theater rechtzeitig mit den Tourneen aufhörte. Nach einem Gastspiel in Odessa 1890 befahl entschied der Herzog: “Bescheiden wir uns und arbeiten wir, indem wir im kleinen groß sind”, berichtet die Broschüre “Das Meininger Hoftheater”. Der bekannt gewordene Name und die Meininger Hofkapelle, deren Hofkapellmeister sehr kurz Richard Strauss und dann Max Reger waren (und die übrigens auch 2014 noch “Hofkapelle” heißt), lockten Besucher von außerhalb. Und wenn man 2014 sieht, wie relativ viele Menschen durch den für die kleine Stadt enorm großen Englischen Garten voller neogotischer Zierruinen ins (1909 nach einem Brand neu errichtete) Theater strömen und Meiningen zu einer, v.a. für Thüringer Verhältnisse, auch spätabends auch noch sympathisch lebhaften Stadt machen, kann man sich denken, dass das Theaterherzogs-Rezept noch immer hält.
Das Theatermuseum im ehemaligen Marstall, also Stall, neben dem Schloss setzt auf bescheidene, aber sympathische und informative Weise Bühnenbilder aus des Theaterherzogs Ära in Szene. Davor im Pflaster befindet sich ein kleiner Walk of Fame, auf dem sich zuletzt, nun ja … Iris Berben verewigt wurde.
In Meininger Stadtbild noch bis Oktober mit allerlei Installationen an Georg II. erinnert, der mit seinem für die Kaiserzeit untypischen, langem weißen Bart über visuellen Wiedererkennungswert verfügt (und auf Plakaten popart-artig bunt eingefärbt ist, wie der bayerische Ludwig an Neuschwanstein-Kiosken ja auch). Mit 88 Jahren ist er dann 1914 gestorben, unmittelbar bevor der Erste Weltkrieg begonnen wurde, an dessen Ende die Epoche solcher Erbherrscher dann gründlich beendet wurde.
“was-mit-Kultur-Höfe”: Mein Wort des Tages 😉