Grenzen haben sich in eher tausenden als hunderten deutschen Territorien immer wieder verschoben. Die einzige Grenze, deren Verlauf den meisten heutigen Deutschen vertraut sein dürfte, ist die zwischen alten west- und den neuen ostdeutschen Bundesländern wie etwa Sachsen und Thüringen. Dass sich auch das komplizierter betrachten lässt, erfährt man in der bayerischen Rhön: Dort bildete die Stadt Ostheim noch bis 1945 eine thüringische Exklave.
Das hing damit zusammen, dass sie im Feudalismus zum Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gehört hatte. Daher fand z.B. der Goethe-Besuch, der hier wie in jeder deutschen Stadt gern öffentlich angeschlagen ist, nicht auf einer Bildungs- oder Italienreise statt, sondern weil Goethe als Minister u.v.a. halt auch für Ostheim zuständig war. Er soll zur Regulierung des Flüsschen Streu beigetragen haben, in dessen Tal der Ort liegt.
Sein schönster Superlativ: “die größte Kirchenburg Deutschlands”, die sich nach eigenen Angaben überdies in einem “einzigartigen Erhaltungszustand” befindet. Eindrucksvoll sind die Anlagen aus dem 15. Jahrhundert tatsächlich.
Kirchenburg heißt, dass rund um eine monumentale Kirche starke Mauern in mehreren Ringen und (neben dem Kirchturm in diesem Fall vier) weiteren Türmen stehen, mit Gängen und weiteren Verteidigungsanlagen sowie “Gaden”, das sind kellerartige Speichergewölbe. Das Gelände in Ostheim umfasst 75 mal 75 Meter. Solche Burgen sollten der Bevölkerung Schutz vor Angreifern bieten und Belagerungen standhalten.
Schutz vor wem? Die Wikipedia nennt die Hussiten in den 1430er Jahren, die “Türkenbedrohung” im 16. Jahrhundert und den Dreißigjährigen Krieg im 17., in dem die Ostheimer Kirchenburg “geplündert, jedoch nicht zerstört” wurde. Jedenfalls hatten viele Kriege dieser Epochen religiös-konfessionelle Gründe oder zumindest Anlässe.
Tatsächlich ist die 1620 fertiggestellte Ostheimer Kirchenburgkirche St. Michael eine evangelisch-lutherische. Der nächste Ort nördlich heißt logischerweise Nordheim, und die mächtige St. Johannes der Täufer-Kirche, die dort in der Ortsmitte thront (und ebenfalls festungsartig genutzt worden sein soll), ist wiederum katholisch. Über dem Portal und der Jahreszahl 1696 ist das Wappen Johann Gottfried von Guttenbergs – des damaligen Verteidigungsministers Fürstbischofs des katholischen Bistums Würzburg, zu dessen Territorium dieses Nordheim bis zur Säkularisation 1803 gehörte, als es bayerisch wurde.
Ostheim wiederum hatte seinen Aufstieg, von dem die Inneneinrichtung der Kirche zeugt (für gute Fotos davon war es zu dunkel, als ich im Februar dort war), auch dem Umstand zu verdanken, dass viele Protestanten aus dem katholischen Umland in die evangelische Stadt zogen und deren Einwohnerzahl verdoppelten. Weil es heutzutage seltsam wirkt, muss man es öfter erwähnen: Seinerzeit wurde in vielen Terrritorien nur eine Konfession geduldet. Insofern nicht so erstaunlich, dass in dieser besonders zersplitterten Gegend des Heiligen Römischen Reichs viele Kirchenburgen benötigt wurden.
Eine richtige Burg, ohne Kirche, dafür in Ruinenform, hat Ostheim ebenfalls zu bieten. Ein paar Kilometer oberhalb der Stadt liegt die Lichtenburg. Heutzutage macht sie Eindruck vor allem dadurch, dass eine Wand des Palas noch ziemlich vollständig da steht – aber mehr nicht. Was ebenfalls noch steht: das Eingangsportal, über dem ein Wappen mit einem deutlich originelleren Wappentier als den Adlern und Löwen, die viele machtbewussten Sippen gern im Wappen führten (und denen man zwar nicht in Guttenbergs Wappen, aber in dem der Herzöge von Sachsen-Weimar begegnet): Dass diese Burg von den Hennebergern , einer im 16. Jahrhundert ausgestorbenen Herrschersippe, errichtet worden ist, zeigt eine Henne an.
Wo wir gerade bei interessanten Bildnissen sind: Draußen am Ostheimer Kirchenportal grüßt ein kleiner, eigentlich ganz nett dreinschauender Teufel. Der sollte wohl abschreckend auf Gegenreformatoren und weitere Gegner wirken.
Und falls Sie die ganze Zeit überlegen, wo bzw. in welchem Gegenwarts-Zusammenhang Ihnen der Name Ostheim begegnet sein könnte (oder halt, warum dieser Beitrag den oben genannten Titel trägt): Auf dem Etikett einer zumindest vor wenigen Jahren noch angesagten Trendbrause machte Ostheim Furore. Die, ja, doch: Original-Brauerei befindet sich ebenfalls am Stadtrand, wenn man von der Lichtenburg hinabsteigt. Allerdings wird sie inzwischen ja vonBielefeld aus gelenkt (vgl. “taz” 2012).
Netter Beitrag zum Thema Wappen. Dieser Blog gefällt mir ausgesprochen gut. Bitte unbedingt weiterbloggen. Viele Grüße, Stefanie!
Über Wappen informiere ich mich regelmäßig. Danke also für deinen Blogpost zum Thema. Vielen Dank dafür, Manuela.