Einen Katzensprung vom neulich hier erwähnten Robert-Gernhardt-Platz in Göttingen befindet sich der Heinz-Erhardt-Platz.Das Denkmal dort steht bereits (anders als der Gernhardt’sche Kragenbär), und ist ebenfalls ungewöhnlich.
Es ist oberhalb des Sockels zweidimensional-flach und schwarzweiß wie die Filme, die Heinz Erhardt in den 1950er Jahren in der damaligen Filmstadt Göttingen gedreht hat (und die deutlich besser und lustiger als seine bunten Spätwerke sind). “Natürlich die Autofahrer” ist einer davon. Die Straßenkreuzung, an der er in seiner Filmrolle damals den Verkehr regelte, ist die, neben der nun auf einem Stück Rasen das Denkmal steht.
Einen Katzensprung von Erhardt entfernt in der deutschen Nachkriegs-Filmografie Theo Lingen, dem in einer völlig anderen niedersächsischen Stadt ein ziemlich ähnlicher Platz gewidmet ist. Auch der wurde vor nicht sehr langer Zeit (2007) neu geschaffen, weniger, weil unbedingt eine Adresse für ein neu entstandene Wohnlage gebraucht wurde, sondern weil noch ein bisschen Platz für einen netten Erinnerungsanlass war.
Dieser Platz befindet sich unmittelbar neben dem Bahnhof bzw. an der Unterführung unter den Gleisen hindurch in der Stadt, die so heißt wie der Schauspieler. Bzw. war es natürlich umgekehrt: Theo Schmitz hatte sich, vermutlich des ungewöhnlicheren Nachnamens wegen, nach dem Namen der Geburtsstadt seines Vaters künstler-benannt: Lingen an der Ems.
Statt eines Denkmals erinnet ein Graffito an den Schauspieler. Am Marktplatz am Haus, in dem der Vater aufgewachsen war, erinnert außerdem eine klassischere Tafel an ihn. Auf dem Weg dorthin, am Universitätsplatz, springt gleich noch eine Gemeinsamkeit Lingens mit Göttingen ins Auge: Beides waren oder sind alte Universitätsstädte, deren Unis einst beide von englischen Königen gegründet worden waren.
Die überregional eher unbekannte Lingener Uni war sogar älter. Ihre Gründung hing mit den vielen Herrschaftswechseln in der alten Grafschaft Lingen zusammen. Sage und schreibe zwölf zwischen den Jahren 1540 und 1710 notiert das Emslandmuseum. Sie gingen oft mit von der neuen Obrigkeit verordneten Wechseln der Konfession einher. Denn vor allem kämpften das in der frühen Neuzeit hardcore-katholische Spanien, das die Grafschaft als Teil seiner spanischen Niederlande betrachtete, und die umso protestantischeren Niederlande um Lingen (und viele andere Gebiete). Letztere setzten sich dann durch, so dass am Ende des 17. Jahrhunderts dort Wilhelm III. von Oranien herrschte, der in erster Linie den Titel des Erbstatthalters der reichen Niederlande trug und als allermächtigster Nassau-Oranier überhaupt 1689 dann auch noch zum englischen König gekrönt wurde.
Anno 1697 gründete er in Lingen die Hochschule, die wegen des calvinistischen Charakters nicht das offizielle Privileg des (katholischen) Kaisers ausgestellt bekam, sodass sich heute drüber streiten ließe, ob solche Hochschulen wirklich Universtität genannt werden können. Genau genommen war Wilhelm natürlich global unterwegs (und z.B. derjenige, dessentwegen die Hauptstadt der Bahamas so heißt wie das Städtchen an der Lahn, dem die Nassauer aller Linien entstammen; vgl. “Die Lahn fließt nicht in der Karibik”). Lokal in Lingen engagierte sich vor allem der Prediger und Theologen Henricus Pontanus, dem heute nahe des Platzes ein eher konventionelles, aber ansprechendes Denkmal gilt.
Nach Wilhelms Tod zerfielen seine angesammelten Territorien. In der englischen Thronfolge schnellte die Hannoveraner Sippe nach oben. In einigen westdeutschen Gebieten wie eben Lingen traten die Preußen die Erbschaft an, deren Kurfürst eine Oranierin geheiratet hatten. Sie ließen die kleine Uni bestehen, und selbst die Franzosen, die Lingen zu Napoleons Kaiserzeiten 1811 noch kurz annektiert hatten, taten es. 1814 studierten noch neun Studenten dort, notiert eine Chronik. Wer anno 1819 die sehr klein gewordene Uni dann auflöste, waren wieder völlig neue Landesherren: das Königreich Hannover, das nach dem Wiener Kongress die Grafschaft Lingen zugesprochen bekam und ja schon über eine Uni verfügte – die in Göttingen, die Georg II. August, der zweite Hannoveraner Kurfürst, der zugleich König von Großbritannien war, 1737 gegründet hatte (bzw. hatte gründen lassen). Die Lingener Hochschule wurde zum Gymnasium Georgianum zurückgestuft, das noch heute besteht.
Seit 1995 ist wieder Lingen ein bisschen Hochschul-Standort. Das sieht man gleich am Theo-Lingen-Platz. Zwar nicht die junge Uni Osnabrück, aber die ältere (Fach-)Hochschule Osnabrück hat ihre Institute für Management und Technik, für Kommunikationsmanagement sowie für Theaterpädagogik in einer schön restaurierten Lokhalle gleich neben dem Bahnhof angesiedelt.
Die Stadt, die eine noch schöner ausgebaute Lokhalle besitzt, vielleicht die bekannteste Deutschlands (oder zumindest die, die über die Domain lokhalle.de verfügt), ist übrigens Göttingen.
Nun: “Die Ems in Lingen” ist nicht die Ems sondern der Dortmund-Ems-Kanal mit der Mecker-Brücke, über die -man ahnt es- immer schon gemeckert wurde, allerdings nicht weil sie nicht über die Ems sondern über den Dortmund-Ems-Kanal führt. Ansonsten ein freundlicher Beitrag über unsere kleine Stadt im niedersächsischen Westen.
Danke fürs interessante Artikel.