Das Faible der Deutschen für sogenannte Royals, wie das exzessiv darüber berichtende öffentlich–rechtliche Fernsehen sie gerne nennt, ist vielleicht gar nicht mehr soo groß, könnte eine kürzlich gemachte Umfrage des “Stern” nahelegen. Interessantere Geschichten als bei jeder neuen Gelegenheit wieder neu “Wie deutsch ist die Queen?” zu rekapitulieren, gibt es allerdings viele. Ganz besonders im bayerischen Coburg.
Das Standes- und Sozialamt dort befindet sich in einem “Schlösschen”, in dem einst ein leibhaftiger nicht nur König, sondern sogar: Zar drei Jahrzehnte lang gewohnt hat – allerdings erst nach seiner Absetzung. Ferdinand von Bulgarien entstammte der Dynastie von Sachsen-Coburg und Gotha, deren Stolz, nach eigener Einschätzung “durch Diplomatie und geschickte Heiratspolitik …. zur bedeutendsten Dynastie weltweit” geworden zu sein, spiegelt sich nicht nur im Internetauftritt sachsen-coburg-gotha.de, sondern auch in Coburg selbst.
Und zumindest die Wendung, dass Ferdinands Enkel Simeon, Bulgariens dritter und letzter Zar (als Sechs- bis Neunjähriger von 1943 bis 1946), als wohl einziger Monarch der Weltgeschichte viele Jahrzehnte und Wendungen nach seiner Feudalherrschaft und “nach fast 50-jährigem Exil” “in einer demokratischen Wahl die politische Macht wiedererlangte” (Wikipedia), könnte durchaus einzigartig bleiben. Als bulgarischer Premierminister amtierte er von 2001 bis 2005 unter dem bürgerlichen Namen Simeon Sakskoburggotski. Seine Internetpräsenz heißt allerdings kingsimeon.bg. Und Coburgs derzeit neuester Ehrenbürger ist der 78-Jährige als Simeon von Sachsen-Coburg und Gotha.
Wenn man über den Schlossplatz vorm Standesamt geht und das Gelände des Coburger Haupt-Schlosses namens Ehrenburg (das sich übrigens auch auf Karl Friedrich Schinkel zurückführt; der Ausbau 1810 war wohl tatsächlich einer der ersten großen Aufträge für den noch wenig bekannten Architekten …) überquert, stößt man auf der anderen Seite gegenüber auf eine Erinnerungstafel für Leopold I. von Sachsen-Coburg-Saalfeld, der als Leopold I. 1832 zum ersten König Belgiens wurde.
Er musste bis zu seinem Tod 1865 nicht abdanken. Im Rückblick ist er nicht ganz so berühmt bzw. berüchtigt wie sein Sohn Leopold II., der ihm auf dem Thron folgte und in einer welthistorisch ebenfalls einzigartigen Konstellation privater Besitzer einer über zwei Millionen Quadratkilometer großen Kolonie, des Kongo, wurde. Dass das Coburger Stadtwappen z.B. gleich unter der Erinnerungstafel einen Mohren zeigt, hat damit nichts zu tun. Da handelt es sich “um den heiligen Mauritius, den einzigen Heiligen, der im Mittelalter mit dunkler Hautfarbe dargestellt wurde” (coburg.de).
Der erste Leopold hätte wohl auch kurz vorher griechischer König werden können. Dass er dieses Angebot lieber nicht annahm, war ja kein Fehler, wie das in den letzten Jahren aus aktuellen Anlässen immer wieder gern erzählte Schicksal des des bayerisch-wittelsbachischen Prinzen Otto zeigte, der stattdessen diesen Titel annahm (und drei Jahrzehnte später wieder abgeben musste). Der Coburger Leopold hätte eigentlich noch deutlich größere Karriere gemach. 1816 hatte er die voraussichtliche englische Thronfolgerin geheiratet. Wäre die nicht 1817 gestorben, wäre sie Königin geworden und Leopold ihr zwar nicht regierender, aber repräsentierender Prinzgemahl.
Den Prinzgemahl-Titel Englands, das seinerzeit als größte Weltmacht ja viel mehr und größere Kolonien besaß als Leopold II. später, konnte die Sippe von Sachsen-Coburg dennoch erringen. Daher macht auch das heutige Coburg den meisten Bohei um Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der 1840 Queen Victoria heiratete. Darüber wie, wie der vom Volk zunächst eher abgelehnte Deutsche dann auch die Sympathie der Briten errang, wird in Royals-Filmen wohl ganz gern erzählt.
Für das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha, das bis 1918 ein kleines Fürstentum innerhalb des Deutschen Kaiserreichs war, hatte das die umgekehrte Folge, dass seine beide letzten Herrscher aus England nach Franken kamen.
Alberts älterer Bruder Ernst II., der als Coburg-Gothaer Herzog einer der vergleichsweise liberalen deutschen Fürsten des 19. Jahrhunderts war (in seinem zweiten Hauptstädtchen Gotha etwa gründete sich 1875 die später als SPD bekanntgewordene Partei), starb 1893 ohne Kinder. Deshalb erbte seinen Thron der zweite Sohn der englischen Victoria und Alberts, der eigentlich geborener Earl of Kent, Earl of Ulster usw. war. In Coburg traf er auf ähnliche Probleme, auf die einst sein Vater in England getroffen war: Er wurde als Ausländer empfunden. Auch Alfreds Nachfolger kam aus dem englischen Zweig und wurde von den Untertanen nicht uneingeschränkt begrüßt.
Zumal, weil in seine Regierungszeit das Ereignis fiel, das eindrucksvoll deutlich machte, wie wenig internationale Monarchenhochzeiten und -verandtschaften zu Völkerverständigung beitrugen, also der Erste Weltkrieg, wollte dieser Carl Eduard keine Zweifel daran aufkommen lassen, wie deutsch er sich fühlte. Dass er 1918 wie alle deutschen Feudalherrscher abdanken musste, änderte daran nichts. Zu den zahlreichen Titeln, die er anschließend bekleidete, gehören der Wikipedia zufolge nur zum Beispiel die eines Bezirksführers der Brigade Ehrhardt / Organisation Consul, eines Reichsstaffelführers der Reichskraftfahr-Staffel des Stahlhelm und in der Nazizeit dann eines Obergruppenführers der SA sowie vor allem der des Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes. In dieser Funktion war der kosmopolitische Adelige international viel unterwegs, um dem Regime beim Fassade-Wahren zu helfen. Bekanntschaft mit Adolf Hitler hatte Carl Eduard schon 1922 gemacht. Ob Coburg “die erste ‘Nazi-Stadt’ Deutschlands war”, wie es manchmal heißt (besonders im englischen Sprachbereich), wird in der Stadt selbst gestritten.
Bei einer Führung in Schloss Ehrenburg kann man noch einiges dazu hören. Bloß offiziell wird eben lieber über englische Royals erzählt …
Fazit: Coburg ist eine hübsche Ex-Residenzstadt mit jeder Menge ehemaliger Hoflieferanten und einem schönen, großen Hofgarten (mit einem noch viiel größeren Burgschloss oben drin). Die interessanteren Geschichten sind die, die weniger im Blickpunkt stehen. Dazu gehört dann übrigens auch noch, dass Coburg bei allem Faible für sog. Royals die einzige bayerische Stadt ist, die nie von einem bayerischen König regiert wurde. Bayern ist es erst 1920 beigetreten. Sonst wäre es thüringisch geworden.
Lieber Autor, dieser Beitrag wäre wahrscheinlich massenattraktiver, wenn du dich doch auf die englischen Royals und ihre Naziverstrickungen konzentriert hättest, statt auf Belgien und Bulgarien. Siehe: http://www.youtube.com/watch?v=OB0YAVF-eOI
Lieber Leser, Massenattraktivität ist nicht meine große Stärke (und hier mein Ziel), aber das stimmt sicher …