Pfronten im bayerischen Allgäu besitzt einen Superlativ, dessen Attraktivität auf Anhieb einleuchtet: “die höchstgelegene Burgruine Deutschlands”. Auf insgesamt 1268 Metern liegt Burg Falkenstein 400 Meter über dem Tal. Was sie ebenfalls einleuchtend illustriert: dass attraktiv klingende Superlative im Alltag oft eher stören.
Jedenfalls hatte schon der Original-Bauherr der Burg, der Tiroler Graf Meinhard II., zu seinen Lebzeiten im 13. Jahrhundert erkannt, dass eine derart hoch auf einem schroffen Felsen gelegene Burg schwierig zu versorgen und ist und daher sowohl zum Drinwohnen als auch militärisch wenig nützt. Unmittelbarer Anlass ihrer Errichtung war die Enthauptung von Meinhards Stiefsohn, des 16-jährigen Konradin in Neapel gewesen. Damit war die Königs- und Kaiser-Dynastie der Staufer endgültig ausgestorben (worden), und die Bayernherzöge und weitere kleinere Landesherren wollten sich in deren schwäbischem Stammland die Macht sichern. Meinhard war dabei also nicht so erfolgreich gewesen. Er überließ seine superlativische Burg den Augsburger Bischöfen, die schon das nahe Füssen beherrschten und Vögte auf die Burg schickten, um auch die Pfrontener Region zu verwalten.
Diese Vögte wohnten bald auch nicht mehr gerne auf der Burg, sondern weiter unten. Sie war schon verlassen und mehr oder minder verfallen, als während des 30-jährigen Kriegs die südlich lebenden katholischen Tiroler sie zerstörten, weil von Norden die protestantischen Truppen des schwedischen Königs Gustav Adolf II. zu nahen schienen.
Dass Superlative, auch wenn sie im Alltag gestört haben, dennoch Nachwirkung entfalten, zeigt dieser Falkenstein ebenfalls. So wie oben auf dem Bierglas hat die Burg nun niemals ausgesehen. So hat sie bloß der Wagneropern-Bühnenbildmaler Christian Jank für den vielleicht einzigen noch beliebten unter den 100en früheren deutschen Monarchen gemalt, den bayerischen Märchenkönig Ludwig II..
Dessen allerbekanntestes Schloss, das ebenfalls von Jank ersonnene Neuschwanstein liegt in Sichtweite des Falkensteins. Ludwig hatte ja so einige Schlösser bauen lassen (über die sich immer noch gut streiten lässt: Hat ein verhinderter Absolutist das Vermögen seiner Untertanen für unsinnige Prachtbauten verschleudert oder ein weitblickender Visionär zumindest den Nachkommen dieser Untertanen Sehenswürdigkeiten hingestellt, die sich schon längst viel mehr als bezahlt gemacht haben und weiterhin global funktionieren?). Auch wegen seiner Absetzung aus ersterem Grund kam Ludwig nicht dazu, alle Schloss-Baupläne zu verwirklichen. Einer der spätesten galt ab 1883, drei Jahre vor seinem Tod, dem Ausbau der Falkenstein-Ruine zu einem neogotischen Ungetüm. Der König hatte sie von einem Strohmann kaufen lassen, sich von mehrere Baupläne zeichnen lassen und einen Architekten, der eine realistischere und preiswertere Schlossvision als Jank entworfen hatte, gefeuert; dass 1885 bis knapp unterhalb der Ruine Wasserleitungen verlegt wurden, verdankt sich seinen Planungen.
Darüber informiert ein Ein-Zimmer-Museum im Gebäude des Hotels unterhalb der Ruine, das dank der Wasserleitungen auf den Berg bald darauf entstand und noch besteht. “1907 fuhr das erste Auto auf den Falkenstein”, steht auf der Hotel-Webseite. Inzwischen fahren, trotz Maut auf dem letzten Abschnitt, so viele Autos hinauf, dass das für Fußgänger auf den schmalen, oft (sicher eher der Rinder auf den Weiden daneben als der Fußgänger wegen…) von Stacheldraht gesäumten Landstraßen zwischen Pfronten und dem Gipfel doof ist.
Pfronten selbst tief unter dem Falkenstein ist ein aus vielen Dörfen zusammengemeindetes Durchfahrtsstädtchen, in dem viele Urlauber urlauben. Es enthält ein paar hübsche Mühlenräder und eine katholische Barockkirche, die sich von sonstigen katholischen Barockkirchen nicht ungemein unterscheidet.
Doch sind die Pfrontener stolz darauf, dass die wie üblich prächtige Innenausstattung vor allem von einheimischen Künstler gestaltet worden war. In Pfronten habe “seit alters her” Zunftfreiheit geherrscht. Die Menschen durften also schon immer die Berufe ausüben, die sie wollten, was anderswo nicht selbstverständlich war. Weil sich daher in Pfronten das “Mächlertum”, “die vielseitige, handwerkliche Geschicklichkeit des Einzelnen” (pfronten.de), ausgeprägt habe, habe Pfronten “so viele, z. T. erstklassige Künstler … zu bieten” wie “kaum eine andere Ortschaft” seiner Größe, schreibt der Heimatverein auf seiner Webseite.
Wieauchimmer, überdies hat Pfronten heute auch etwas zu bieten, womit vielen bayerische Ortschaften ganz unterschiedlicher Größe erfreuen können: eine lokale Brauerei mit gutem Bier. Auf deren Gläsern und Deckeln macht sich Christian Janks Schlossvision auch in der Gegenwart noch gut.