Zweifellos ist es ungerecht, in einer Stadt mal gut zwei Stunden lang herumzulaufen und gleich etwas darüber sagen bzw. schreiben zu wollen. Andererseits: Städte gibt es genug, und bevor man z.B. niemals nach Fürth fährt, kann man es ja im Schnelldurchlauf anschauen.
Zumal die inzwischen nahtlos in Nürnberg übergehende Stadt in Bayern nicht zuletzt als Start- bzw Zielort der ersten deutschen Eisenbahnlinie bekannt ist, die ab 1835 ebenfalls nach Nürnberg führte. Wo damals der Bahnhof der Linie stand (die 1922 aufgegeben wurde, was nicht heißt, dass es heute zwischen Nürnberg nicht jede Menge Bahnverbindungen gibt), wenige hundert Meter vom aktuellen Bahnhof entfernt, befindet sich ein Platz namens Fürther Freiheit. Als ich vorbeikam, war der Platz frei von allem, also es war viel Platz. Zum Teil wurde der, wie Platz in deutschen Städten eigentlich immer, natürlich zum Parken genutzt.
Selbstverständlich muss man das 1902 erbaute Theater am Franz-Josef-Strauß-Platz oder das ein halbes Jahrhundert davor dem florentinischen Palazzo Vecchio nachempfundene Rathaus nicht als Sehenswürdigkeiten in engerem Sinn betrachten. Doch beim Herumlaufen in Fürth fallen immer mehr Straßen voller einzeln unscheinbarer Häuser auf, die aber als geschlossene, ziemlich monochrome Straßenzüge Eindruck machen.
Fürth ist älter als man denkt, sogar älter als Nürnberg, das lange der Inbegriff einer mittelalterlichen Stadt war. Nach eigenen Angaben (wie sie auf vielen in der Stadt aufgestellten Texttafeln stehen) wurde Fürth bis auf eine Kirche (diese) im 30-jährigen Krieg, also im 17. Jahrhundert zerstört.
Ein interessantes Rätsel stellt ein weiteres Hinweisschild, das der Fürther Geschichtsverein dort errichtet hat, wo sich heute definitiv keine Sehenswürdigkeit befindet, früher aber das sog. Geleitshaus stand. Darauf erfährt man von der “Dreiherrschaft” über die Stadt, die im hochkomplizierten Herrschaftssystem des sog. Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation über ein halbes Jahrtausend lang währte. Über Fürth herrschten bzw. über die Herrschaft über Fürth stritten die Reichsstadt Nürnberg, das katholische Bistum Bamberg und die Grafen von Brandenburg-Ansbach (was, nur am Rande, auch schon wiederum ein verwirrender Name ist, denn Ansbach liegt ebenfalls im heute bayrischen Franken, also ganz in der Nähe, und bloß die herrschende Adelssippe waren Hohenzollern wie in Brandenburg und Preußen, und noch völlig anderswo ja auch). Jedenfalls steht auf diesem Schild: “Diese Dreiherrschaft bestand bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und hat die Fürther Geschichte sowie die Mentalität der Fürther Bevölkerung nachhaltig geprägt”.
Falls Nichtfürther sich überhaupt etwas zur Fürther Mentalität zusammenreimen können, rührt das natürlich vom Fußball her. Dass die die Fürther (bzw. seit 1996 Greuther Fürther) quasi immerzu Vierter in der Zweiten Liga werden, also einen Aufstiegssplatz immer knapp verfehlen (bzw gar als “unaufsteigbar” gelten), könnte das eine Folge uralter Dreiherrschaft sein? Bis zum letzten Spieltag, als Eintracht Braunschweig kam, führte Fürth die Zweite Liga an, dann fiel es auf Platz 3. Doch die Saison ist ja noch lang. Und falls die Mannschaft aufsteigt, wer weiß, könnte die Stadt endlich das alte Heiligen Römischen Reich überwinden.
Wobei andererseits hinzugefügt werden kann, dass wahrscheinlich auch wegen solcher diffusen Herrschaftsverhältnisse lange Zeit, also bis zur Nazizeit, in Fürth die Toleranz und eine jüdische Gemeinde blühten. Von letzterer zeugt noch die – allerdings nicht betretbare, vollständig von Mauern und Zäunen (sowie zweisprachigen Schildern, die das Müllabladen verbieten) umschlossene – Sehenswürdigkeit des Jüdischen Friedhofs.